Startseite » Tagungsdokumentation 24. März |
Tagungsdokumentation 24. März 2011Gemeinderat Thomas Rajakovics. Alle Fotos: Stadt Graz/Fischer
Eröffnet wurde die Tagung „Die Gesundheit der MigrantInnen in Österreich”, organisiert von „ProHealth” und städtischem Integrationsreferat und moderiert von Mary Delißen, von Gemeinderat Thomas Rajakovics. In Vertretung von Bgm. Mag. Siegfried Nagl nannte er drei Punkte, die MigrantInnen den Zugang zu medizinischer Versorgung erschweren: Sprachliche Barrieren, Unwissenheit über das österreichische Gesundheitssystem und dass es oft als Zeichen von Schwäche gilt, sich behandeln zu lassen. Aber: „Bei uns kann man selbstverständlich und ohne Angst das Gesundheitssystem in Anspruch nehmen. Und Krankheit ist absolut kein Zeichen von Schwäche!” Als wichtiges Zukunftsthema, das im Mittelpunkt der politischen Bemühungen stehe, nannte Rajakovics vor allem den Umgang mit betagten MigrantInnen, um diese spezielle Gruppe werde man sich in den nächsten Jahren besonders kümmern müssen.
Armut und Migration machen krank „Vielfalt ist Reichtum!”: Gesundheitsstadtrat Karl-Heinz Herper.
Gesundheitsstadt Karl-Heinz Herper forderte Integration, Partizipation und Prävention für unsere migrantischen Bürgerinnen und Bürger, denn: „Armut und Migration machen krank!” Er berichtete, den Auftrag zur Erstellung des „1. Gesundheitsberichts der Stadt Graz” gegeben zu haben; dieser solle bis September vorliegen und das gesundheitliche Ungleichgewicht in Graz und Bewältigungsstrategien („Wie erreicht man Menschen, die man bisher nicht erreichen konnte?”) aufzeigen. Außerdem sei ein Workshop zur Gesundheitssituation von sozial benachteiligten Gruppen in Graz in Vorbereitung. Besonders stolz
zeigte sich der Stadtrat über das Projekt „Gesunder Bezirk
Gries”, das europaweit schon zahlreiche Interessenten und
Nachahmer gefunden hat. Das Projekt soll ab 2012 auf die Bezirke
Jakomini, Lend und Eggenberg ausgeweitet werden. Der Fokus soll auf
drei Zielgruppen liegen: Ältere, MigrantInnen und sozial
Schwächere.
Gesundheitsniveau anheben Starke neue Impulse zur Verbesserung der gesundheitlichen Situation der MigrantInnen: Mag. Godswill Eyawo, Leiter von „ProHealth”.
„ProHealth”-Leiter Mag. DSA Godswill Eyawo eröffnete den Reigen der Referate mit einer Vorstellung der Entstehung, der Visionen und Ziele seines Vereins: Die Community based Organisation will die Gesundheit und das Wohlbefinden der MigrantInnen in Graz verbessern und das Gesundheitsbewusstsein stärken. Der Zugang zu Gesundheitsinformationen und -angeboten soll erleichtert und optimiert, der Gesundheitsstandard der MigrantInnen auf das Niveau der Mehrheit der Bevölkerung gehoben werden. Mag. Eyawo bestätigte, dass MigrantInnen die Angebote des Regelgesundheitssystem weniger und später annehmen würden. Dies werfe die Frage auf: „Was können wir kollektiv machen, um die Situation zu verbessern? Wir brauchen eine neue Qualität und mehr Effizienz durch Vernetzung und gemeinsame Verbesserung - dies ist ein Prozess, der immer neue Impulse braucht.” Deshalb dankte der „ProHealth”-Leiter den anwesenden ExpertInnen, die den Verein mit ihrer Expertise in diesem Bemühungen unterstützen und helfen, praxisnahe Strategien zu entwickeln.
„Am Budget erkennt man den Willen!” Dr.in Sonja Novak-Zezula präsentierte das Projekt „MigrantInnenfreundliches Krankenhaus”.
„Wären
alle MigrantInnen dieser Welt in einem Land, wäre es - gemessen
an der Bevölkerungszahl - das fünftgrößte Land
der Welt”, eröffnete Dr.in Sonja Novak-Zezula vom Wiener
„Zentrum für Gesundheit und Migration” ihr Referat.
Dr.in Novak-Zezula sprang für ihre erkrankte Kollegin Dr.in
Ursula Karl-Trummer ein.
Interessante Fragestellungen ergaben sich beim Workshop der Soziologin.
Zwei Herausforderungen seien dabei zu meistern:
MigrantInnenfreundliches Krankenhaus Tagungs-Moderatorin Mary Delißen
Als mögliche Antwort auf diese Problemstellungen präsentierte Dr.in Novak-Zezula das Projekt „MigrantInnenfreundliches Krankenhaus” (Migrant Friendly Hospital), das in zwölf europäischen Pilot-Krankenhäuser unterschiedlicher Größe von 2002 bis 2005 lief. In allen der Pilotspitälern seien ähnliche Probleme aufgetreten: Sprache, Kommunikation, PatientInnen-Information und -Aufklärung, kulturell adäquates Essen. 35 Prozent des Krankenhauspersonals hätten täglich Kontakt mit Menschen, deren Sprache sie nicht verstehen, oft wird mit Händen und Füßen kommuniziert. MigrantInnenfreundlich muss daher heißen: Angebote und Dienstleistungen individueller gestalten, Akzeptanz des Unterschieds nach ethno-kulturellen Strukturen entwickeln, die MigrantInnen-Gruppen selbstständiger machen. Qualitätsstandard müssen definiert, entwickelt und evaluiert werden - „Was brauchen wir?”. Anstatt Angehöriger müssen professionelle DolmetscherInnen eingesetzt werden. Es muss auf Essenbräuche, Religionsausübung, Besucherregelung eingegangen werden. Und natürlich müssen Gesundheitsinformationen in die wichtigsten Sprachen übersetzt werden.
Interessierte Fragen aus dem Publikum.
Die ProjektleiterInnen konnten einige Verbesserungen feststellen - so nahm etwa das Personal DolmetscherInnen in Anspruch. Die PatientInnen wurden über diese Möglichkeit aber nicht informiert. Das Personal wurde geschult, Infos wurden übersetzt. Trotzdem wurde das MigrantInnenfreundliche Krankenhaus nicht zur Routine und hatte auch keine Auswirkungen auf die jeweilige Region. Diese Qualitätsentwicklung nütze der Organisation und den Patienten, so die Soziologin. Beide würden zufriedener; die PatientInnen noch mehr als das Personal, das sehr hohe Ansprüche setzt. Die Instrumente und Lösungsansätze seien vorhanden und entwicklungsfähig, allerdings sei die Bereitschaft zur Investition sehr unterschiedlich: „Am Budget erkennt man den Willen!”, so Novak-Zezula.
Integration als Bringschuld? Im letzten Punkt ihres Referates sprach Dr.in Novak-Zezula über MitarbeiterInnen mit Migrationshintergrund im Gesundheitsbereich. Sie verwies auf die wachsende Globalisierung im Gesundheitsarbeitsmarkt und den steigenden Bedarf an Pflegepersonal. 14,6 Prozent der ÄrztInnen und 14,5 Prozent der Pflegekräfte in Österreich sind im Ausland geboren. Es herrscht bereits Konkurrenz um die Pflegekräfte - 2020 werden in Europa eine Million Gesundheitspflegekräfte fehlen! -, deshalb müsse Österreich ein attraktiver Arbeitsmarkt bleiben! Leider ortete die Soziologin zahlreiche Probleme: den Einsatz der MitarbeiterInnen weit unter ihrer Qualifikation, die schwierige Position im Behandlungsteam, der erschwerte Zugang zum Arbeitsmarkt durch langwierige, teure Nostrifizierungen. Und natürlich Diskriminierung: rassistische Witze, PatientInnen lassen sich von zugewanderten PflegerInnen nicht betreuen, die Zuweisung von ungeliebter Arbeit, mangelndes Bemühen um Kommunikation. Sehr viele dieser Probleme werden untereinander geregelt, nicht aber von der Organisation - Integration als Bringschuld?
Ein Partner hat viel mehr Leidensdruck Das Fazit der Referentin: Integration scheint eine private Herausforderung zu sein und gelingt gut mit großer persönlicher Anstrengung. Unterstützung erfolgt oft zufällig, oft durch Personen, die auch eingewandert sind. Schwierigkeiten gelten als persönliches Versagen, die Gesundheitsorganisationen nehmen ihre Verantwortung im Integrationsprozess nur beschränkt wahr. Integration sollte ein interaktiver Prozess zwischen der Aufnahmegesellschaft und den ImmigrantInnen, ein gegenseitiges Lernen sein - doch leider hat dabei ein Partner viel mehr Leidensdruck.
Integration muss MIT MigrantInnen passieren Ramazan Salman, Geschäftsführer von „MiMi”, dem größten europäischen Gesundheitsförderungsprogramm für MigrantInnen.
„Die Hauptressource bei der Lösung von Problemen sind die MigrantInnen selbst! Integration muss mit und nicht nur für MigrantInnen passieren”, stellte der Diplom-Sozialwissenschaftler und Medizinsoziologe Ramazan Salman an den Beginn seiner Ausführungen. Geboren in Istanbul und mit sechs Jahren nach Deutschland eingewandert, sprach er aus der Sicht der MigrantInnen. Als Gründungsmitglied und Geschäftsführer des Ethno-Medizinischen Zentrums Hannover und Leiter von „MiMi - Integration mit MigrantInnen”, dem größten Gesundheitsförderungsprogramms für MigrantInnen in Europa, kennt er die Probleme, aber auch die Lösungsmöglichkeiten von der Pike auf. Als Herausforderungen nannte Salman:
Weiters berichtete der Berater der deutschen Bundesregierung:
Inspirierend und mitreißend: Ramazan Salman.
Ramazan Salman schloss sich den Worten seiner Vorrednerin an: Europa muss ein attraktives Einwanderungsziel bleiben, denn MigrantInnen sind ein großer Gewinn und wir brauchen die Arbeitskräfte dringend. InderInnen z. B. fänden Deutschland uninteressant; die USA und Kanada hingegen bieten High Skills-Arbeitskräfte beste Bedingungen und „krallen” sich deshalb auch die besten Leute. „Wir müssen mehr fördern, mehr ausbilden!”, forderte Salman. In vielen Ländern Europas läuft es aber genau umgekehrt: Man hält Menschen mit Migrationshintergrund mit großer Macht unproduktiv und von Bildung fern, man stellt rechtliche Schranken auf, damit sie nicht arbeiten können und kritisiert dann: Integration läuft aber gar nicht gut ... „Wenn man Arbeit untersagt, darf man sich nicht wundern, wenn Menschen krank werden, denn Arbeitslosigkeit ist eine starke psychische Belastung”, erläuterte Salman.
Mit Migranten für Migranten Über das 2003 ins Leben gerufene Gesundheitsprojekt „MiMi - Mit Migranten für Migranten. Interkulturelle Gesundheit in Deutschland” berichtete der vielfache Buch- und Studienautor, das es bereits in 53 Städten erfolgreich durchgeführt wird. „MiMi” arbeitet mit hochgebildeten, sozial gut integrierten MigrantInnen als UnterstützerInnen, die als interkulturelle MediatorInnen ausgebildet werden und Brücken zu ihren Communities bauen. Diese MediatorInnen helfen anderen, in geringerem Maß gesellschaftlich integrierten MigrantInnen, sich im komplexen Gesundheitssystem zurechtzufinden, sie organisieren Info-Veranstaltungen, sie verteilen standardisierte Gesundheits-Folder in 15 Sprachen - und sie bringen Daten und Fragen zurück ins System, anhand derer „MiMi” seine Arbeit evaluieren kann. Rund 5.000 Fragen pro Jahren werden gesammelt, die die Grundlage für neue Gesundheits-Kampagnen und -Broschüren sind. „MiMi” unterstützt seine MediatorInnen - zu 75 Prozent sind es Frauen - beruflich und gesellschaftlich; so entwickeln die „Einheimischen” ein positives Bild und gehen auf die MigrantInnen zu, sehen sie als LeistungsträgerInnen.
Auf Augenhöhe sein 2.000 MediatorInnen hat „MiMi” inzwischen geschult, 800 davon sind zertifiziert und konnten mehr als 60.000 TeilnehmerInnen bei ihren Veranstaltungen erreichen. Dies gibt rund 400.000 indirekte Kontakte! „So erreichen wir mit wenig Streuverlust über starke MigrantInnen solche MigrantInnen, die dabei sind, stark zu werden”, freute sich Salman. „Dies ist nur ein Modell, wie man Communities unterstützen und aktivieren kann. Wir konnten das Bild der MigrantInnen ändern, das war ein wesentlicher Erfolgsfaktor. Ohne MigrantInnen-Organisationen geht gar nichts - wir müssen sie stärken, damit sie auf Augenhöhe sein können!”
|